Der Tumor-Terminator – Bakterium Clostridium novyi

Wie die American Association for the Advancement of Science im August 2014 bekannt gab, gibt es neue Hoffnung an der Krebsfront. Wissenschaftler haben jüngst Versuche mit einem Bakterium Namens Clostridium novyi durchgeführt, die die Vermutung nahe legen, dass es bald möglich sein könnte, dass dieses Bakterium gezielt Tumorgewebe verdrängt und zerstört. Doch was macht dieses Bakterium so besonders, dass es zu solch einer Leistung in der Lage ist?

Das Clostridium novyi ist ein so genanntes anaerobes Bakterium, das weltweit vorkommt. Es befindet sich unter anderem im Erdreich, in Regionen, wo kein Sauerstoff hin gelangt. Denn Sauerstoff ist für diese Art Bakterien absolut tödlich. Bisher war das Clostridium novyi sehr gefürchtet, verursacht es doch in offenen Wunden den tödlichen Gasbrand. Zu dieser Gruppe Bakterien gehören noch andere berühmte Vertreter wie zum Beispiel das Clostridium tetani, das beim Menschen die Tetanus-Erkrankung hervorruft, sowie Clostridium Botulinum, aus dessen Gift der Faltenauffüller Botox gewonnen wird. Und genau das Gift, das Clostridien produzieren, macht sie zu so lebensgefährlichen Erregern.

Warum die Wissenschaft nun aber genau auf dieses Bakterium aufmerksam wurde, ist der Umstand, dass Tumorgewebe im Grunde genau die Lebensbedingungen bietet, die Claustridium navyi benötigt. Denn im Gegensatz zu gesundem menschlichen und tierischen Gewebe, das Sauerstoff enthält, ist Gewebe, das von Krebs befallen ist, sauerstoffarm. Es ist also anzunehmen, dass dieses Bakterium, wenn es direkt in ein genau lokalisiertes Krebsgeschwür eingebracht wird, sehr gezielt nur tumoröses Gewebe zerstört. Sobald es mit gesundem Gewebe in Kontakt kommt, das Sauerstoff in größeren Mengen enthält, wird es jedoch sehr schnell abgetötet.

Leider haben auch jahrzehntelang nach ihrer Einführung die beiden wichtigsten Behandlungsmethoden in der onkologischen Schulmedizin, Bestrahlung und Chemo, enge Grenzen innerhalb derer sie wirken können. Gerade bei sehr großen Tumoren schaffen sie es häufig nicht, in die tiefer liegenden Bereiche vorzudringen. Denn hier herrscht oft eine schlechte Durchblutungssituation und das Gewebe ist besonders sauerstoffarm. Das sind aber genau die richtigen Voraussetzungen für dieses Bakterium zu wachsen und sich zu vermehren. Auch einige Hirntumore sind aufgrund von besonderen Barrieren, die unser Körper errichtet hat, um das Gehirn zu schützen, oft schwer behandelbar. Auch die Nähe zu Augen, Ohren und den lebensnotwendigen Nervenzellen machen eine Behandlung im Bereich des Kopfes oft sehr kompliziert bis unmöglich. Selbst eine chirurgische Entfernung ist in einigen Fällen nicht möglich.

Lebenswichtige Vorbereitungen

Doch bevor die Wissenschaftler daran gehen konnten, erste Versuche an lebenden Organismen durchzuführen, mussten sie einen Weg finden, den gefährlichen Krankheitserreger so zu verändern, dass er kein Gift mehr produziert. Dazu entwickelten sie das Clostridium novyi-NT, wobei NT für nicht toxisch steht. Dadurch ist dieses Bakterium noch sehr gefährlich in Zellen, die keinen Sauerstoff enthalten, vergiften und zerstören jedoch keine gesunden, sauerstoffhaltigen Körperzellen.

Jetzt war der Weg frei, die ersten Versuche an Lebewesen zu tätigen. An Laborratten zeigten die ersten Versuchsreihen schon objektive Erfolge, ohne schädlichen Einfluss auf den gesunden Organismus zu haben. Da jedoch die Tumorzellen von Ratten denen von Menschen nicht ähnlich genug sind, um eine wirkliche Aussagekraft zu haben, wurden in Folge Versuche an 16 Hunden durchgeführt, deren Halter dankbar waren, dass ihren Begleitern diese Möglichkeit gegeben wurde. Und erfreulicherweise zeigte sich auch bei mehr als einem Drittel der Hunde eine deutliche positive Wirkung.

Tumore von Hunden sind denen von Menschen sehr viel ähnlicher. Denn ihre Tumore weisen ein mit dem Menschen vergleichbares Spektrum an Zellmutationen auf und auch die Anzahl dieser genetischen Mutationen ist genau wie beim Menschen.

So gingen die Wissenschaftler vor

Für ihre Versuche verwendeten die Laboranten mit schützenden Laborkitteln die Sporen, also praktisch die Samen des Clostridium novyi. Diese sind unter normalen Laborbedingungen, also wenn Sauerstoff anwesend ist, inaktiv. Erst wenn die Lebensbedingungen stimmen, beginnen diese zu wachsen und sich zu dem eigentlichen Bakterium zu entwickeln. Sie infizieren als Bakterien die sie umgebenden geeigneten Zellen und lösen diese schließlich auf. Und geeignet für diese Bakterien sind eben nur kranke Zellen. Gesunde Körperzellen enthalten zu viel Sauerstoff, hier müsste das Bakterium selbst verenden. Saurabh Saha, der Autor der Studie, verlautete in einer Pressemitteilung: „Das könnte Patienten Hoffnung geben, die keine anderen Optionen mehr haben … Gerade bei Hirntumoren ist auch eine vollständige operative Entfernung oft nicht möglich, zu tief sitzt die Erkrankung im lebenswichtigen Nervengewebe. C.novyi jedoch findet die entarteten Zellen effektiver, als ein Chirurgenskalpell es könnte – und frisst sie einfach auf.“

Und in der Tat wuchsen die Bakterien im Tumorgewebe höchst präzise. Sie zerstörten tatsächlich nur die befallenen Zellen, ließen dabei aber gesunde Körperzellen aus, auch wenn sie nur Mikrometer entfernt von diesen lagen.

Selbst mikroinvasive Tumorzellen, also Krebszellen, die sich vom Primärtumor gelöst haben und nun in nur mikroskopisch wahrnehmbaren Verbänden in gesundes Gewebe vordringen, hat das Bakterium in den Versuchen zuverlässig aufgespürt und zerstört.

Die Wissenschaftler spritzten den Hunden ein bis viermal im Abstand von je sieben Tagen jeweils 100.000 der Clostridium novyi Sporen. Dadurch schrumpften die Tumore bei drei Hunden deutlich und bei weiteren drei verschwanden sie komplett. Dabei kam es nur zu wenigen und schwach ausgeprägten Nebenwirkungen. In erster Linie waren die Entzündungsreaktionen an den Stellen, an denen injiziert wurde.

Ein angenehmer Nebeneffekt des Befalls der Tumorzellen mit Clostridium novyi ist, dass die befallenen und abgestorbenen Zellen vom Immunsystem als körperfremd identifiziert wurden und es dadurch angeregt wurde, aktiv an deren Abbau mitzuwirken. Die Überlebensrate der Labortiere war dadurch deutlich höher, als die der Tiere, die die Clostridium Behandlung nicht erhalten hatten.

Erste Phase-1-Studie an einer Patientin

Ermutigt von diesen guten Behandlungserfolgen hat sich auch eine Patientin bereit erklärt, sich mit dem Bakterium behandeln zu lassen. Diese Patientin stellte sich mit einem Bindegewebstumor, einem so genannten Leiomyosarkom vor. Dies ist ein Tumor, der vom glatten Muskelgewebe ausgeht, sich aber überall im Körper bilden kann. In ihrem Fall war der Primärtumor hinter dem Bauchfell gelegen.

Bei der Patientin waren die aktuellen Therapieoptionen der Schulmedizin komplett ausgeschöpft. Eine Operation sollte den Tumor genauso entfernen wie mehrere Strahlen- und Chemotherapien. Doch leider halfen diese Maßnahmen nicht, stattdessen bildete sich nach den Behandlungen eine große Anzahl an Metastasen.

Die Ärzte spritzten dieser Patientin in Phase-1 zunächst nur ein Hundertstel der Sporenmenge, die sie den Hunden verabreicht hatten, also 1.000 Sporen des Clostridiums direkt in einen Metastasenherd in der Schulter. Schon am dritten Tag konnte beobachtet werden, dass die Metastasen zu großen Teilen zerstört worden waren, sowohl im Knochen, als auch im darum liegenden Gewebe.

Allerdings hatte die Patientin einiges auszustehen, denn in Folge der Injektion litt sie unter starken örtlich begrenzten Schmerzen und hohem Fieber. Diese verschwanden jedoch nach ein paar Tagen wieder.

Jetzt haben sich die amerikanischen Forscher um Saurabh Saha vorgenommen, weitere Versuche an menschlichen Patienten durchzuführen, um herauszufinden, welche Tumorarten auf die Behandlung besonders gut ansprechen und welche Therapieoptionen vielversprechend sind. Eine weitere wichtige Fragestellung wird es auch sein herauszufinden, „ob eine höhere Sporen-Dosis auch entfernte Metastasen angreift, entweder direkt durch die Ausbreitung der Sporen im Blutkreislauf oder durch eine Immunantwort“, berichteten die Autoren in der Pressemitteilung.

Im Moment sieht es so aus, als wenn die Behandlung mit dem Clostridium novyi Bakterium in erster Linie in Kombination mit den beiden etablierten Behandlungsverfahren Chemo- und Strahlentherapie stattfinden, diese also ergänzen wird. Denn während die Bakterien ausschließlich in den tieferen Tumorgewebsschichten tätig werden können, wo sauerstoffarme Bedingungen herrschen, zerstören Strahlen und Chemo vor allem die gut versorgten und durchbluteten Randgebiete von Tumoren.

Es sieht also zu Zeit tatsächlich so aus, als wenn mit diesem Therapieansatz endlich ein neuer Durchbruch in der Krebstherapie geschafft worden wäre. Die nächsten Jahre werden Genaueres zeigen.