Nicht nur in Asien kennt man Heilverfahren, bei denen mit Hilfe von Nadeln eine heilende Wirkung auf den Organismus ausgewirkt wird. In der westlichen Naturheilkunde verwendet man nämlich schon seit dem 19. Jahrhundert das so genannte Baunscheidtverfahren. Seinen Namen erhielt dieses Verfahren nach dem deutschen Mechaniker Carl Baunscheidt. Dieser findige Geist neigte zur Völlerei, wodurch er an Gicht litt. Es heißt, er habe an einem Sommertag mehrere Mückenstiche in die Hand erlitten und festgestellt, dass einige Tage nach diesen Mückenstichen die Gichtschmerzen an dieser Hand verschwunden waren.
Er schloss daraus, dass die Stichwunden in seiner Hand ermöglichten, dass „die krankmachenden Stoffe“, die seine Gichtattacken auslösten, durch die Öffnungen in seiner Haut entweichen konnten. Daraufhin erfand er ein Stichelgerät, mit dem er genau solche wirkungsvolle Hautöffnungen erzielen konnte. Heute sind zwei verschiedene Gerätetypen im Handel. Zum einen der Hautstichler, bei dem ein Stempel, der mit Nadeln versehen ist, mit Hilfe von Federn auf die Haut schnappt.
Mit einem Nadelroller, bei dem eine Trommel mit Nadeln bespikt ist, wird die Haut angeritzt, indem dieser Roller leicht über die Haut bewegt wird. Da es natürlich beim Baunscheidtverfahren zu kleinen Öffnungen in der Haut kommt, ist es sehr wichtig, dass höchste hygienische Maßstäbe bei der Therapie eingehalten werden. Aus diesem Grund können die hautberührenden Teile beider Nadel-Geräte ausgebaut und sterilisiert werden.
Die therapeutische Wirkung des Verfahrens wurde potenziert, als Baunscheidt ein spezielles Öl entwickelte, mit dessen Hilfe die zuvor gestichelte Haut gereizt wird. Er erkannte nämlich, dass die Wirkung nicht allein von den Stichen der Tiere, sondern auch von den ausgeschiedenen Sekreten der Mücken herstammte. Denn diese sind es, die rund um die Einstichstellen zu Pusteln und Schwellungen führen.
Die Wirkung des Verfahrens nahm derart drastisch zu, dass die Bonner Medizinische Fakultät allen praktischen Ärzten ausdrücklich dieses Verfahren empfahl. Doch leider hat im Laufe der Geschichte, mit der Zunahme der Bedeutung pharmazeutischer Unternehmen und ihrem damit steigenden Machteinfluss in der Aus- und Weiterbildung von Medizinern das Baunscheidtverfahren wieder an Bedeutung verloren. Doch zum Glück bieten viele Naturheilpraxen das Baunscheidtieren als Ausleitungstherapie an.
Das Baunscheidtverfahren und seine Wirkung
Das Baunscheidtieren wirkt auf mehreren Ebenen im Organismus. Durch die Reizung der Haut wird die lokale Durchblutung stark angeregt. Wird das Verfahren auf dem Rücken angewendet, wird dieser Effekt nicht nur an der eigentlichen behandelnden Stelle bemerkbar, sondern setzt sich reflektorisch in andere Bereiche des Organismus fort. Denn auf unserem Rücken kennt man so genannte Hautsegmente, die eine nervale Verbindung zu bestimmten Organen und anderen Körperstrukturen haben.
Durch das Baunscheidtverfahren findet im Körper zudem eine klare Tonisierung statt. Das bedeutet, dass der Patient sich stärker und vitaler fühlt. Dazu kommt, dass der Lymphfluss von innen nach außen hin aktiviert wird, wodurch Gift- und Krankheitsstoffe genauso gelöst und ausgeschieden werden können, wie Schmerzmediatoren. Dadurch können selbst Krankheitsprozesse und Schmerzen, die sich über Jahre im Körper befinden, sehr wirkungsvoll und nachhaltig aufgelöst und geheilt werden.
Das Baunscheidtöl, das nach dem Sticheln der Haut aufgetragen wird, bewirkt eine Entzündungsreaktion, durch die die Immunabwehr im Körper aktiviert und gestärkt wird. Die akute Entzündung bewirkt, dass selbst chronifizierte Krankheiten wieder aktiviert und mit Hilfe des gestärkten Immunsystems abgearbeitet werden.
Das Baunscheidtieren in der Praxis
Meist therapiert man den Rücken des Patienten mit den „Lebensweckern“, wie Carl Baunscheidt seine Nadelstichgeräte auch nannte. Dazu wird zuerst die Haut desinfiziert, die behandelt werden soll. Danach setzt der Therapeut entweder den Stichler an etwa 20 Stellen rechts und links der Wirbelsäule an und lässt den Nadelstempel einige Male auf die Haut schnappen oder er rollt mit dem Nadelroller auf den zu behandelnden Arealen entlang. Die stählernen Nadeln dringen dabei höchsten ein bis zwei Millimeter in die Haut ein, so dass kein Blut austritt. Ist die Haut sichtbar genug gestichelt, ist sie bereit, mit dem speziellen Baunscheidtöl benetzt zu werden.
Nun ist es wichtig, dass der Patient eine Weile ruht, um dem Körper Zeit zu geben, die Entzündungsprozesse in Gang zu setzen. Dabei verspürt der Patient ein angenehmes und tiefes Wärmegefühl und meist ein fast spontanes Abklingen aller Schmerzen. Um die Wirkung des Baunscheidtierens zu optimieren, wickeln einige Heilpraktiker den Oberkörper des Patienten mit einer Plastikfolie ein, die dieser möglichst bis zum folgenden Morgen nicht abnimmt. Vor allem, wenn der Therapeut ein Baunscheidtöl verwendet, das auf den verschreibungspflichtigen Bestandteil Krotonöl verzichtet, verstärkt die Folie die Wirkung sehr schön.
Es kommt, je nach Anwendungsgebiet auch vor, dass eine Baunscheidttherapie am Brustkorb, an den Armen, den Unterschenkeln oder auch dem Gesäß durchgeführt wird, doch die weitaus meisten Behandlungen erfolgen am Rücken. Dies erklärt sich vor allem in der Tatsache, dass eben durch die bereits erwähnten Hautsegmente, auch Head´sche Zonen genannt, Einfluss auf viele andere Bereiche des Körpers genommen werden kann.
Die Einsatzgebiete des Baunscheidtverfahrens
Zu einem wahrhaften Wellnesserlebnis artet das Baunscheidtieren für Menschen aus, die unter Erkrankungen des Bewegungsapparates leiden. Der kurze Schmerz, den das Nadeln bewirkt, ist schnell vergessen, sobald die schmerzstillende Wirkung der Wärmeentwicklung nicht nur die Nadelpieker verschwinden lässt, sondern vor allem auch die Verspannungen und Schmerzen von Wirbelsäulenerkrankungen, Muskelschmerzen, Nervenentzündungen und Rheuma zum Abklingen bringt.
Auch Gelenke, die von Arthritis und Arthrose befallen sind, profitieren von dieser nachhaltigen Therapie. Die Entzündungen und Schwellungen gehen zurück und Schmerz und Degeneration haben keine Chance. Der Patient fühlt sich nicht nur erheblich besser, sondern erfährt eine gesteigerte Beweglichkeit und die Gelenkzerstörung wird gestoppt.
Für viele Patienten ist es zu Beginn erstaunlich, dass man mit einer Baunscheidtbehandlung am Rücken Stoffwechsel- und Verdauungserkrankungen heilen kann. Doch lassen sich tatsächlich Gastritis, das Reizdarmsyndrom, Verstopfung und sogar Gallenerkrankungen wirkungsvoll und ursächlich mit diesem Verfahren heilen. Auch die gefährliche Divertikulitis, die sogar zu Darmkrebs führen kann, kann mit Baunscheidtbehandlungen überwunden werden.
Eine weitere ganz große Domäne des Baunscheidtierens sind funktionelle Beschwerden. Funktionelle Herzbeschwerden, Kreislaufregulationsprobleme und auch viele Schilddrüsenstörungen sprechen sehr gut auf dieses Verfahren an. Durch die stark tonisierende Wirkung profitieren jedoch auch alle Patienten, die Schwächen irgendwelcher Art aufweisen. Sei es, dass sie geschwächt und asthenisch sind oder unter wiederkehrenden Infekten leiden, all diese Zustände lassen sich mit regelmäßigen Baunscheidtbehandlungen nachhaltig und tiefgreifend heilen. Kinder, die unter Wachstums- und Gedeihstörungen bei Kindern werden positiv beeinflusst und wiederkehrende Mandelentzündungen, Angina und Bronchitis, häufig bei zarten Kindern anzufinden, werden mit dem Baunscheidtverfahren schnell zu Geschichte.
Verfahren, die so effektiv sind, wie das Baunscheidtieren können jedoch nicht bei allen Menschen zum Einsatz kommen. So sind alle Zustände, bei denen eine gesunde Funktion überstark im Organismus stattfindet, ein Grund, um auf dieses wirkungsvolle Verfahren zu verzichten. Akute Infekte, vor allem wenn sie mit Fieber einhergehen, sowie schwere Autoimmunerkrankungen sind solche Fälle. Außerdem sollte der Therapeut darauf achten, dass die Haut, die behandelt werden soll völlig intakt ist. Also keine Verletzungen vorliegen. Auch Muttermale, Entzündungen, Hautkrankheiten und Narben sollten nicht direkt behandelt werden.
Natürlich darf dieses Verfahren auch nicht bei Patienten zum Einsatz kommen, die gegen einen der Inhaltsstoffe der verwendeten Ölmischung überempfindlich oder allergisch reagieren. Auch Patienten, deren Haut sehr sensibel reagiert, möchten womöglich lieber auf diese Therapieoption verzichten. Da ist ein gutes Vertrauensverhältnis mit dem Heilpraktiker wichtig. Denn die Rückmeldung des Patienten gibt dem Behandler Auskunft darüber, wie dieser die Therapie toleriert.